Appell
Ziel
Wer kennt sie nicht, die Situation: der Vogel sitzt auf einem Baum, oder einem Schuppen, wenn es ganz dick kommt auf dem Mannheimer Schloss und will nicht beireiten. Das ist blöd, wenn es einem alleine passiert, extrem peinlich wenn andere dabei sind und mehr als ärgerlich auf Gemeinschaftsbeizen, vor allem weil dann die ganze Gesellschaft blockiert ist, die anderen können ja nicht weiter machen, viel zu groß ist die Gefahr, dass sich dann zwei Vögel gegenseitig schlagen. Auch für Harrisse die sich nicht gegenseitig kennen legen wir die Hand nicht ins Feuer, wir haben schon alles Mögliche erlebt.
biologische Grundlagen
Will man solche Situationen vermeiden oder zumindest schnell lösen, muss man sich vor Augen halten, warum der Vogel überhaupt kommt. Er macht es sicher nicht, weil er es schick findet auf der Faust zu stehen und er findet es auch nicht schick auf dem Baum zu sitzen und die Falkner:in unten Männchen machen zu sehen, wie auf einer Gemeinschaftsbeize von der Falkner:in geäußert wurde, deren Vogel auf dem Baum saß.
Fragt man Verhaltensbiolog:innen (Etholog:innen) warum Tiere etwas tun, dann bekommt man zur Antwort es müsse eine Handlungsbereitschaft bestehen und ein äußerer Reiz vorhanden sein (von Handlungen im Leerlauf und Stereotypien, die hier keine Rolle spielen, sehen wir mal ab). Um das besser verstehen zu können ist es sinnvoll sich die beiden unterschiedlichen Begriffe Bedarf (englisch: need) und Bedürfnis (englisch: want) vor Augen zu halten. Ein Bedarf entsteht, wenn dem Tier etwas mangelt, um den Körper im Gleichgewicht (in der Fachsprache: Homöostase) zu halten. Ein Bedürfnis entsteht, wenn ein Bedarf bewusst wird. Als Beispiel: ein Mensch ohne Kleidung hat bei Minusgraden den Bedarf nach Kleidung oder Wärme. Ist der Mensch volltrunken, dann wird ihm der Bedarf nicht bewusst und er erfriert. Bedürfnisse gibt es aber auch ohne einen aktuellen Bedarf. Eine Katze z.B. oder ein passionierter Jagdhund, jagen und hetzen auch dann, wenn sie satt sind und im Moment gar keinen Bedarf an Nahrung haben. Greifvögel haben diesen „Jagdtrieb“ nicht. Sie jagen nur wenn das Bedürfnis zu Jagen durch den entsprechenden Bedarf an Atzung gespeist wird, die Kombination aus Bedarf und Bedürfnis nennt die Falkner:in „Kondition“. Der Bedarf ist etwas Objektives, es kann in erster Näherung mit der Waage ermittelt werden. Das Bedürfnis ist etwas Subjektives, außer vom Bedarf hängt es noch von einer Reihe anderer Faktoren ab. Eine große Rolle spielt die Außentemperatur. Auch die Tageszeit ist wichtig. Bei tiefen Temperaturen oder kurz vor dem abendlichen Dunkelwerden ist das Bedürfnis größer, in der Falknersprache: der Vogel ist schärfer. Gesteigert wird das Bedürfnis, also die Bereitschaft zum Jagen, und das Beireiten zu Faust oder Federspiel ist aus Sicht des Vogels auch ein Jagen, durch besonders leicht zu erlangende Beute oder besonders verführerische Atzungsbrocken. Soweit ist das klar und gehört zum Basiswissen jeder Falkner:in. Was ganz offensichtlich nicht zum Basiswissen gehört, jedenfalls konnten wir das auf einigen Gemeinschaftsbeizen beobachten, ist, dass menschliche Störungen das Bedürfnis reduzieren können, ja dass die Anwesenheit der Falkner:in selbst und/oder die Zuschauer:innenschar den Vogel soweit irritieren, dass er lieber auf seinem Baum oder Stadel sitzen bleibt, wenn, ja wenn der Bedarf nicht groß genug, der Vogel also zu hoch in der Kondition ist. Das kann passieren, auch wenn es bei Gemeinschaftsbeizen nicht passieren sollte, siehe oben.
Umsetzung
Da an dem zugrunde liegenden Bedarf in dem Moment, in dem der Vogel nicht kommen will, nichts geändert werden kann, bleibt nur am Bedürfnis zu schrauben. Hier gibt es nun drei Rädchen, an denen gedreht werden kann:
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Erstens kann das Lockmittel attraktiver gemacht werden, also sollte die Atzung auf der Faust oder dem Federspiel größer oder mehr rot sein. Eine halbe Taubenbrust mit Federn an der Schwinge ist allemal interessanter als ein Eintagsküken. Auch ein selbst, oder von jemand aus der Gruppe bereits gebeiztes Stück Wild kann sehr attraktiv wirken.
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Den Reiz kann man noch erhöhen, indem Bewegung vorgetäuscht wird. Ein ca. 3mm dünnes und mindestens 10m langes Stück Reepschnur gehört in jede Falknertasche. Damit kann man das Federspiel oder ein – selbstverständlich totes – Beutetier ruckartig ziehen. Lebende Locktiere zu verwenden ist verboten, das muss ja wohl nicht extra betont werden.
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Ist das nicht ausreichend, oder ist die Lockwirkung nicht das eigentliche Problem, dann muss die menschliche Störung reduziert werden. Der Vogel findet es eben nicht schick, dass Zuschauer:innen oder ggfs. auch nur die Falkner:in allein unter dem Baum oder Gebäude stehen, er findet es lästig. Zunächst sind also eventuelle Zuschauer:innen wegzuschicken. Reicht das nicht aus, sollte das Lockmittel, also Federspiel oder Beutetier mit der langen Schnur fixiert werden, dass es nicht geleitet werden kann. Dann geht die Falkner:in außer Sicht des Vogels, versteckt sich hinter einem Baum oder Ähnliches. Kommt dann der Vogel auf die Beute, dann lässt man ihn erst ein wenig rupfen und ggfs. kröpfen, bis man sich ihm vorsichtig nähert und ihn dann aufnimmt. Dass für diesen Tag die Beize beendet ist, versteht sich ja wohl von selbst.
Reicht das auch nicht aus, dann bleibt nichts anderes übrig, als aus der Ferne zu beobachten bis der Vogel wieder so viel Bedarf hat, dass das Bedürfnis ausreicht ihn zur Beute zu locken. Hampelt man in der Situation unter dem Vogel herum ist die Gefahr groß, dass er schlicht davonfliegt.
Ist es so weit gekommen, dass bei Gemeinschaftsbeizen die Gruppe längere Zeit aufgehalten wurde, zeugt es von guter Kinderstube sich gebührend zu entschuldigen und – je nach Situation – die Mitjagenden beim Schüsseltreiben mehr oder weniger frei zu halten.