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Abtragen

Abtragen Teil I – manning[1]

Ziel

Der englische Begriff manning beschreibt besser als der deutsche Begriff Abtragen unser klares Ziel: wir wollen einen Vogel, der vertraut mit dem Menschen, in der Falknersprache also locke ist. Das zweite klare Ziel ist ein gut jagender Vogel, auch hier hilft uns die englische Falknersprache, die vom introducing, von der Einführung[2] spricht, die wir dann erst im nächsten Kapitel behandeln, wenn auch die Übergänge zwischen beiden Kapiteln fließend sind.

Das Etappenziel ist der Vogel, der auf der Faust – oder auf dem Federspiel neben der Falkner:in – kröpft und dorthin frei aus ca. 20 Meter Entfernung kommt.

 

biologische Grundlagen

Greifvögel lernen durch Prägung, klassische und operante Konditionierung sowie durch Habituation. Die Erklärung dieser verschiedenen Lernformen lassen wir hier mal außen vor, wer sich genauer dafür interessiert, sei auf das einschlägige Kapitel im Buch Die Beizjagd, herausgegeben von Elisabeth Leix, verwiesen. Für unsere Zwecke reicht der Hinweis, dass wir ausschließlich auf den Menschen geprägte Vögel für weniger geeignet für die praktische Beizjagd halten, das gilt insbesondere für Harris Hawks, die allein von den Altvögeln für ca. 16 Wochen aufgezogen werden sollten. 

 

Ganz wichtig ist, dass der Vogel durch angenehme Erfahrung viel schneller und nachhaltiger locke wird, als durch die rauhe Methode nach dem Motto: da muss er durch.

 

Je vertrauter der Vogel durch die Aufzucht mit dem Menschen ist, desto größer ist aber die Wahrscheinlichkeit des dauerhaften Lahnens, wenn der Mensch zu früh und bei deutlich zu großem Hungergefühl Atzung bringt. Da das Lahnen auch eine genetische Veranlagungskomponente hat, lässt es sich nicht bei allen Vögeln in jedem Fall vermeiden. Hilfreich ist in jedem Fall, dass so schnell als möglich von der Falkner:in weg gearbeitet wird, wie im nächsten Absatz beschrieben wird. Außerdem sollte mit so wenig wie nötig Hungergefühl gearbeitet werden.

 

Umsetzung

Der unerfahrene Vogel soll so wenig wie möglich gestresst werden, während er das erste Vertrauen zum Menschen fasst.

 

Ist der Vogel mit Menschenkontakt aufgezogen, also z.B. als „social imprint“ mit Artgenossen und Menschen, kann diese Phase sehr schnell abgeschlossen werden. Der Vogel wird auch bei sehr mäßigem Hungergefühl auf der Faust kröpfen.

 

Ist der Vogel mit wenig oder ohne Menschenkontakt aufgezogen, sollten die wenigen Tage vom Zeitpunkt, an dem der Vogel aus der Voliere geholt wird, bis zum Kröpfen auf der Faust mit möglichst wenig Aufregung und möglichst wenig Stress verbracht werden. Dazu nutzen wir alle Möglichkeiten und Tricks, dass der Vogel so wenig wie möglich Angst bekommt. Fast jeder Angstauslöser wird vom Vogel optisch wahrgenommen, Geräusche sind nebensächlich, Gerüche spielen keine erkennbare Rolle. Außerdem verstärkt jedes Abspringen, jeder „Fluchtversuch“ die Angstreaktion. Deshalb sollte das Abspringen, gar Toben, nach Möglichkeit vermieden werden. Ganz schlecht ist es, wenn ein Vogel immer wieder aus einer Voliere gefangen werden muss oder am Flugdraht tobt. Deshalb wird der Vogel kurz am Geschüh fixiert. Das kann auf dem Hochblock oder der hohen Reck geschehen, verhaubte Vögel können auch auf Zimmerblock oder Zimmersprenkel gestellt werden. Jede dieser Möglichkeiten hat Vor- und Nachteile. Hochblock und hohe Reck sind vor allem für unverhaubte Vögel äußerst nützlich, weil der Mensch dann auf Augenhöhe mit dem Vogel ist und nicht so riesig groß und angsteinflößend erscheint, deshalb können sie auch für unverhaubte Vögel empfohlen werden. Der Nachteil der hohen Sitze ist, dass die Gefahr des Erhängens besteht. Der Vorteil von Zimmerblock oder Zimmersprenkel ist, dass eben diese Gefahr nicht besteht. Um die vermeintliche Bedrohung durch den großen Menschen auszuschalten, müssen die Vögel bei dieser Aufstellung verhaubt sein. Sobald der Vogel Vertrauen gefasst hat, ist natürlich eine Aufstellung auf Block oder Sprenkel auch ohne Haube möglich. Vorzugsweise wird der Lehrling für die ersten Tage im Haus in einem abgedunkelten Raum untergebracht, bewährt hat sich bei uns das Gästebad. Vögel die verhaubt werden sollen können diese kurze Zeit überwiegend unter der Haube stehen. Ganz wichtig ist, dass der Vogel sich nicht verhängen kann. Aus Sicherheitsgründen sollte der Vogel einen oder zwei Bells tragen[3]. Wird als Sitzgelegenheit eine hohe Reck oder ein Hochblock verwendet, bei denen der Vogel den Boden nicht erreichen kann, muss auch bei völliger Dunkelheit bei Nacht sichergestellt sein, dass die Falkner:in durch die Bells alarmiert wird, sollte der Vogel abspringen (u.U. ist ein Babyfon hilfreich). Deshalb sollte die Falkner:in in der ersten Zeit Urlaub haben und penibel auf jedes Geräusch, vor allem auf das Klingen der Bells achten.

 

Die Atzung muss immer schon auf der Faust parat sein, bevor man sich dem Vogel nähert. Atzung wird nie weggenommen, auch später nicht. Es wird immer genau überlegt wie viel Atzung der Vogel an dem Tag bekommen soll, es empfiehlt sich die Atzung genauso zu wiegen wie den Vogel. Atzung  nachzulegen, wenn zunächst zu wenig angeboten wurde, ist ebenfalls problematisch, der Vogel soll auf keinen Fall lernen nach der rechten Hand der Falkner:in zu schauen, gar zu schlagen.

 

Dem unverhaubten Vogel auf der hohen Reck nähert man sich mit der Atzung auf der Faust am langausgestreckten Arm sehr langsam und nur solange, dass der Vogel nicht abspringt. Wird der Vogel unruhig tritt man einen Schritt zurück und beginnt ganz langsam wieder mit der Annäherung. Hier ist die hohe Reck von großem Vorteil, da der Mensch nicht bedrohlich groß, sondern auf Augenhöhe mit dem Vogel erscheint.

 

Den verhaubten Vogel enthaubt man in einem abgedunkelten aber nicht stockdunklen Raum auf der mit Atzung versehenen Faust und zwar so, dass die Atzung am hellsten beleuchtet ist.

 

Am ersten Tag wird man bei den meisten Vögeln noch nicht erreichen können, dass sie von der angebotenen Atzung kröpfen. Wir zwingen sie zu nichts, aber es gibt dann auch nichts. Am zweiten oder spätestens dritten Tag wird nahezu jeder Vogel die Atzung akzeptieren. Auch hier erzwingen wir nichts, wenn der Aspirant zwar die Atzung von der Faust nimmt, aber nicht übertritt, so ist das auch OK.

 

Ist die zugedachte Portion gekröpft wird der Vogel wieder mit oder ohne Haube abgestellt. Die Übung wird an einem Tag nur einmal durchgeführt.

 

Kröpft der Vogel ein oder zwei Tage ruhig auf der Faust, die wir ihm direkt vor die Füße/Hände gehalten haben, vergrößern wir die Entfernung stückchenweise bis auf Langfessellänge. Haben wir alles in aller Ruhe und ohne Stress richtig gemacht, wird der Vogel am vierten, fünften oder spätestens achten Tag auf mindestens Langfessellänge zur Faust kommen. Auch die Übung wiederholen wir am Anfang nicht, der Vogel bekommt die ganze Ration auf einmal.

 

Jetzt ist es Zeit nach draußen zu gehen und bei unverhaubten Vögeln auch mit dem täglichen Wiegen zu beginnen, verhaubte Vögel müssen schon während der ersten Tage täglich gewogen werden  – wir hatten jeden Vogel aber bereits einmal gewogen, nämlich direkt nach der Entnahme aus der Voliere. Wie schon erwähnt hat sich neben dem obligatorischen täglichen Wiegen des Vogels auch das Wiegen der Atzung bewährt. Nach dem alten Motto: wer schreibt, der bleibt, sollten alle Gewichte, am besten noch die sonstigen Rahmenbedingungen, insb. die Temperatur aufgeschrieben werden.

 

Da unser Ziel ist den Vogel zu einem möglichst guten Jäger zu erziehen, verwenden wir nicht allzu viel Zeit auf die Festigung der Bindung zur Falkner:in, nur beim Habicht müssen wir da ein bisschen, aber nur ein bisschen mehr Wiederholung einplanen. In jedem Fall aber gilt: getragen wird am Anfang nur wenn es zur Ortsveränderung sein muss, also z.B. zum Wiegen, oder solange der Vogel auf der Faust kröpft. Ein Rumschleppen des Vogels findet nicht statt, später kann man die Zeit des Tragens durch einen kalten Flügel etwas verlängern. Es empfiehlt sich den Vogel für die unabdingbaren Transporte zu verhauben. Die Transporte werden ja meist im Auto stattfinden, da nur die wenigsten Falkner:innen direkt im Revier wohnen oder einen entsprechend großen Garten haben. Kurz- oder Rundflügler, die aus welchen Gründen auch immer nicht verhaubt werden sollen, sollten in Transportboxen transportiert werden, unsere Ideen für Transportboxen beschreiben wir im entsprechenden Kapitel.

 

Kommt der Vogel auch im Freien auf ca. Langfessellänge, wird das Federspiel eingeführt. Wir verwenden auch bei Habicht und Harris am Anfang ein Federspiel. Bei vielen Individuen braucht man es nach einiger Zeit nicht mehr, wenn sich der Faustappell von alleine einstellt, aber es ist immer als Notbremse dabei. Ein Vogel, der aus welchen Gründen auch immer einmal keinen Faustappell hat, kommt doch oft noch aufs Federspiel. Bei den Falken ist allein wegen deren größeren Aktionsradius ein Federspiel sinnvoll.

 

Das zunächst gut gespickte Federspiel wird dem Vogel am ersten oder auch noch am zweiten Tag des Federspieltrainings an Sprenkel oder Block überlassen, ohne dass die Falkner:in sich weiter nähert, als dass der Vogel ruhig kröpft. Nie, ich wiederhole: nie, auch später nicht, wird dem Vogel das Federspiel weggenommen, solange noch Atzung drauf ist.  Das gilt, wie man nicht oft genug wiederholen kann, auch für Atzung auf der Faust, es wird keine Atzung weggezogen, der Vogel bekommt was er sieht, das Federspiel oder die Faust wird mit genau der vorher festgelegten Atzungsmenge versehen. Erst wenn die Atzung vollständig gekröpft wurde und sich der Vogel auf dem Federspiel entspannt, wird er mit dem Rest der täglichen Ration auf der Faust wieder aufgenommen. Das Verhältnis der beiden Atzungsportionen wird bei ca. 80% auf dem Federspiel und ca. 20% auf der Faust eine gute Verteilung haben. Auch diese Übung wird am gleichen Tag nicht wiederholt. (Auch in der Könnenphase, das sei hier schon gesagt, wird keine Atzung weggezogen. Wenn zu erwarten ist, dass der Vogel häufiger zu Faust oder Federspiel gerufen werden muss, wird nur eine kleine Atzungsmenge (engl.: tidbit, bayerisch: Breckerl) angeboten, bei gut eingeflogenen Vögeln kann das Federspiel auch leer sein, auf der Faust gibt es dann aber wieder eine Kleinigkeit).

 

Nun sind wir am sechsten bis zwölften Tag. Wir setzen den Vogel an der Lockschnur auf eine Sitzgelegenheit und können hoffen, dass der Vogel auf fünf bis zehn Meter aufs Federspiel beireitet, das neben der Falkner:in auf dem Boden liegt. Auch diesmal bekommt der Vogel die Tagesration auf einmal, verteilt auf Federspiel und Faust natürlich. Diese Übung können wir in den nächsten paar Tagen noch etwas ausdehnen, wobei es nicht wirklich wichtig ist ob der Vogel auf 10 oder 20 Meter an der Lockschnur kommt, wichtiger ist, dass er zügig kommt ohne rumzuzicken. Sollte er bisher zügig gekommen sein und jetzt zögern, so ist das Gewicht ein bisschen – ich wiederhole gerne: ein bisschen – zu reduzieren. Nach zwei bis drei Wochen ab Beginn des Trainings sind wir in aller Regel so weit, dass wir den ersten Freiflug wagen können. Auch uns alten und grauen Häsin und Hasen schlägt dabei das Herz schneller, aber wenn wir mit sehr viel Ruhe und Umsicht agiert haben, sollte es keine Schwierigkeiten geben. Grundvoraussetzung ist aber natürlich eine funktionierende Telemetrie, und dass man auch damit umgehen kann. Robuste Individuen, vor allem die Weiber[4], kann man vor dem ersten Freiflug auch einen Tag leer stehen lassen, das ist gut für die Nerven, nötig ist es in der Regel nicht.

 

[1] apropos Englisch, uns geht es nicht darum zu demonstrieren, dass wir Englisch können, aber manchmal hat die englische Falknersprache einen präziseren Ausdruck als die deutsche. 

[2] auf Deutsch vielleicht am besten mit Einjagen übersetzt wobei sich die Begriffe nicht ganz decken

[3] wir verwenden bei Habichten und Harris Hawks, die häufig in der Deckung schlagen zwei Bells, bei unseren Anwartern nur einen Bell, da wir die Falken mit möglichst wenig Ballast fliegen wollen und bei den Falken lieber zwei Sender verwenden.

[4] Falkner:innen sprechen von Terzeln und Weibern um die Geschlechter zu benennen, das ist nicht diskriminierend gemeint.

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